Donnerstag, 1. Juni 2017

Fiktive Terminsgebühr im einstweiligen Anordnungsverfahren!

Im EA- Verfahren hatte der Ehefrau Trennungsunterhalt eingeklagt. Das Gericht hatte Termin anberaumt, diesen jedoch wieder abgesetzt, nachdem der Ehemann den Anspruch anerkannt hatte. Die Kosten des Verfahrens legte es dem Ehemann auf.

Der Anwalt der Ehefrau beantragte die Festsetzung der Kosten, wobei er auch eine Termingebühr nach VV-RVG 3104 zur Festsetzung beantragte. Die setzte das Amtsgericht auch antragsgemäß fest.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners half der Rechtspfleger ab und strich die Termingebühr. Das OLG jedoch hob diesen Beschluss wieder auf und stellte den alten Kostenfestsetzungsbeschluss wieder her. Es begründete überzeugend wie folgt:

Zu Recht macht die Antragstellerin die Festsetzung der Terminsgebühr gem. VV RVG Nr. 3104 für das Ausgangsverfahren der einstweiligen Anordnung geltend. Zwar ist in dem Ausgangsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden worden. Nach Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 entsteht die Terminsgebühr jedoch auch dann, wenn für das Verfahren mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist und gem. § 307 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.

Das Urteil ist für uns Anwälte enorm wichtig. Es räumt mit der weit verbreiteten Ansicht auf, eine Terminsgebühr sei in solchen Konstellationen nicht festzusetzen. Hier die wesentlichen Teile der Urteilsbegründung (jeweils mit Randziffern):

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   ... Anders als der Antragsgegner meint, ist auch die weitere Voraussetzung von Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 erfüllt. Bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG ist die mündliche Verhandlung vorgeschrieben.

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    Soweit in der Kommentarliteratur (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., Rn. 43; Riedel/Sußbauer/Ahlmann, RVG, 10. Aufl., VV Nr. 3104, Rn. 8, jeweils auch zu der insoweit vergleichbaren Konstellation im zivilprozessualen Eilverfahren) und Rechtsprechung (OLG Köln, BeckRS 2016, 20660; OLG München, FamRZ 2006, 220) die Ansicht vertreten wird, dass es sich bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung nach §§ 49 ff. FamFG wie auch bei den Eilverfahren nach der ZPO um Verfahren handele, für die eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei, weil eine Entscheidung in jenen Verfahren zunächst auch ohne mündliche Verhandlung ergehen könne und erst nach deren Erlass auf Antrag (§ 54 Abs. 2 FamFG) bzw. auf Widerspruch (§ 924 Abs. 2 S. 2 ZPO) mündlich zu verhandeln sei, trägt dies weder dem einheitlichen Charakter des familienrechtlichen bzw. zivilrechtlichen Eilverfahrens Rechnung, noch entspricht sie dem Sinn und Zweck von Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104; sie steht auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

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    Mit Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 soll erreicht werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte, der im Hinblick auf den auch in Familienstreitsachen geltenden Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten kann, in der mündlichen Verhandlung eine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Gebührennachteil erleidet, wenn durch eine andere, in Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 genannte Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird (BGH, NJW 2008, 668). Nach der Gesetzesbegründung sollte damit die Regelung des § 35 BRAGO a.F. übernommen werden (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 212). Dies geschah ersichtlich mit dem Ziel, den bereits durch § 35 BRAGO geschaffenen Gebührenanreiz für die Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens beizubehalten, der letztlich auch der Entlastung der Gerichte dient (Scholz/Kleffmann/Motzer/ Thiel, Praxishandbuch Familienrecht, 31. EL, Teil R "Gegenstands- und Verfahrenswerte und Vergütung in Familiensachen", Rn. 299). Es entspricht einer effektiven Verfahrensführung, in einem Verfahren, in dem ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung und somit das Entstehen einer Terminsgebühr erzwingen kann, einen Anreiz zu schaffen, das Verfahren auch ohne mündliche Verhandlung zu beenden, ohne dass der Verfahrensbevollmächtigte Gefahr läuft, die ansonsten "sichere" Terminsgebühr zu verlieren.

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    Nach der Gesetzesbegründung ist bei der Übernahme von Regelungen der BRAGO in Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 weiter bewusst davon abgesehen worden, auch § 153 Abs. 4 SGG, nach dem im sozialgerichtlichen Berufungsverfahren eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, in die Anmerkung aufzunehmen. Dies hat der Gesetzgeber damit begründet, dass "die Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht verhindern können", sodass die Notwendigkeit einer besonderen Terminsgebühr für dieses Verfahren nicht bestehe (BT-Drs., a.a.O.). Wenn es aber das gesetzgeberische Ziel war, den gebührenrechtlichen Anreiz der besonderen Terminsgebühr gerade für solche Verfahren zu schaffen, in denen es die Beteiligten bzw. die Parteien in der Hand haben, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu verhindern, ist es geboten, auch diese Erwägung der Auslegung von Abs. 1 Nr. 1 der Anmerkung zu VV RVG Nr. 3104 zugrunde zu legen.

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    Von einem Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung ist dementsprechend auch bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG auszugehen, weil gem. § 54 Abs. 2 FamFG eine mündliche Verhandlung für den Fall vorgeschrieben ist, dass ein Beteiligter sie nach Erlass eines Beschlusses im schriftlichen Verfahren beantragt, die Beteiligten mithin eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung verhindern können (BGH, FamRZ 2012, 110, Rn. 33, zur insoweit vergleichbaren Rechtslage vor Inkrafttreten des FamFG; ebenso Schneider, NZFam, 2016, 738; 2017, 129; Mayer, FD-RVG 2014, 363465; Hartmann, Kostenrecht, 47. Aufl., VV RVG Nr. 3104, Rn. 16; OLG Zweibrücken, NJOZ 2015, 188).

OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.3.2017 – 15 WF 40/17, = BeckRS 2017,  105696