Freitag, 5. Dezember 2014

Neue Düsseldorfer Tabelle 2015 - Welche Auswirkungen hat die Erhöhung der Selbstbehaltssätze wirklich?

Wieder einmal stürzt sich die Presse auf eine im Unterhaltsrecht vorgenommene Korrektur und zieht daraus zumindest teilweise die falschen Schlüsse: Der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen Elternteils gegenüber den minderjährigen Kindern habe sich beispielsweise von Euro 1000,00 auf Euro 1080,00 erhöht. Das habe zur Folge, dass nun viele wenig verdienende Unterhaltspflichtige plötzlich von ihrer Unterhaltspflicht befreit sein; für die Kinder müssen nun die Sozialhilfe einspringen.

Das ist so natürlich nicht richtig. Tatsache ist, dass sich die Auswirkungen der Erhöhung der Selbstbehalte in übersichtlichen Grenzen halten werden, insbesondere, was die Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern betrifft. Noch einmal zusammengefasst:

1. Minderjährigen Kindern gegenüber hat der Unterhaltspflichtige eine gesteigerte Unterhaltspflicht, § 1603 Abs. 2 BGB. Das bedeutet, dass er alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen hat. Hat er das nicht getan, muss er sich so behandeln lassen, als ob er über ausreichendes Einkommen verfüge. D.h. nichts anderes, als dass in dann ein fiktives Einkommen zugerechnet wird.
Zwar darf dem Pflichtigen im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nichts Unmögliches verlangt werden. Deswegen setzt die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerfG FamRZ 2012, 1283; BVerfG NJW 2012, 2420; BVerfG NJW-Spezial 2012, 517; BVerfG FamRZ 2010, 183; BVerfG NJW 2010, 1658; BGH FamRZ 2013, 1378; BGH NJW 2008, 3635 ) für den Ansatz eines fiktiven Einkommens voraus, dass schon subjektive Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners fehlen. Außerdem müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt objektiv erzielbar sein was wiederum von seinen persönlichen Voraussetzungen wie Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiografie und Gesundheitszustand sowie krankheitsbedingten Einschränkungen und Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt. Dabei ist nach der Rechtsprechung eine konkrete Prüfung der Erwerbsmöglichkeiten erforderlich. In den gerichtlichen Entscheidungen , die ein fiktives Zusatzeinkommen zurechnen, müssen die erkennenden Richter zu Beispiel anhand von aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen konkret darlegen, welcher monatliche Bruttoverdienst erzielt werden könnte.

2. Reichen jedoch die Einkünfte des Pflichtigen zur Deckung des Mindestunterhalts seiner minderjährigen Kinder nicht aus, kann ihm zugemutet werden, in seiner Freizeit eine Nebentätigkeit (Getränkemarkt, Tankstelle, putzen, Gastronomie, Zeitungen austragen etc.) auszuüben. Die Zumutbarkeit solcher Nebentätigkeiten ist in der Rechtsprechung hoch umstritten. Das BverfG (BVerfG FamRZ 2003, 661) und der BGH (BGH FamRZ 2009, 314 = FF 2009, 122; vgl. hierzu Anm. mit Checkliste v. Bömelburg FF 2009, 127) berücksichtigen im jeweiligen Einzelfall die sich aus dem Hauptarbeitsverhältnis ergebenden Einschränkungen, die individuellen Verhältnisse des Verpflichteten (Arbeitszeit, Art der Arbeit, familiäre Verhältnisse, Gesundheitszustand, Alter, Belastbarkeit). Dabei sei der Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es sei immer zu prüfen, ob dem Unterhaltspflichtigen die zusätzliche Belastung zugemutet werden könne.

3. Allerdings - und das führt dazu, dass sich auch durch den neuen Selbstbehaltssätze nichts Wesentliches ändern wird - liegt weiterhin die Darlegungs-und Beweislast beim Unterhaltspflichtigen. Dieser hat substantiiert darzulegen, dass er an der Aufnahme einer Nebentätigkeit im erforderlichen Umfang durch arbeitsrechtliche Bestimmungen, insbesondere durch §§ 3,6 und 9 Arbeitszeitgesetz gehindert ist. Er muss weiterhin substantiiert vortragen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine für ihn geeignete Nebentätigkeit vorhanden ist und dass und aus welchen Gründen ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit unter Abwägung seiner besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner Gesundheit nicht zuzumuten ist (BVerfG NJW 2012, 2420).
Was dann letztlich zumutbar ist, entscheidet der Richter. Und es gibt nach wie vor genügend Richter, die sich auf den nicht ganz unberechtigten Standpunkt stellen, dass man sich für seine minderjährigen Kinder ein gehöriges Stück weit auspowern und finanziell krumm legen muss. Wer also nicht mindestens 48 Stunden wöchentlich arbeitet und nicht nachweist, dass er keinen besser bezahlten Job bekommen oder einen solchen aus irgendwelchen persönlichen Gründen keinesfalls ausüben kann, der wird mit dem Einwand, sein Selbstbehalt würde unterschritten, nicht weit kommen. Die Gerichte werden durchgängig ein weiteres fiktives Einkommen zurechnen.

4. Fundstellen zum Thema:

Schnitzler/Bömelburg, Anwaltshandbuch Familienrecht, § 6, Rn. 150 ff.
Wendl/Klinkhammer, das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, § 2, Rn. 366 ff:
Gerhardt/Seiler, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, Kapitel 6, Rn 322 ff.
Palandt, § 1603, Rn 40 ff.