Mittwoch, 2. April 2014

BGH nochmals zur Wiedereinsetzung, wenn ein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für eine Beschwerde beim falschen Gericht eingereicht worden ist.

Also wie war das nochmal? Wenn eine Gerichtsentscheidung eine Instanz abschließt, wo muss man dann Rechtsmittel einlegen? Eine Etage höher, oder? Normal schon, nicht aber in Familiensachen. Denn § 64 I FamFG sieht seit dem 1.9.2009 vor, dass die Beschwerde gegen Beschlüsse des Amtsgerichts in Familiensachen, die die Instanz abschließen, beim Amtsgericht selbst einzulegen ist. Begründung: Wenn der Amtsrichter schon selbst über die Beschwerde nicht entscheiden darf, kann er doch immerhin feststellen, ob seine Entscheidung rechtskräftig wurde oder nicht, was im allgemeinen Procedere eine erhebliche Erleichterung darstellt.
In Ordnung. Wenn ich nun die Durchführung der Beschwerde von einem Verfahrenskostenhilfe gesucht abhängig mache, dann muss ich folglich auch dieses Gesuch beim Amtsrichter einlegen, oder?
Das ist jetzt richtig, war aber zwischen dem 1.9.2009 und dem 31.12.2012 anders. In diesem Zeitraum musste zwar die Beschwerde beim Amtsgericht eingereicht, das Gesuch um Verfahrenskostenhilfe jedoch beim OLG angebracht werden, weil dieses die Instanz war, die letztlich über die Sache entschied. Sehr verwirrend!  Und wer trotzdem fahrlässig beim Amtsrichter Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde beantragte, riskierte, keine Wiedereinsetzung zu bekommen, wenn die Beschwerde im normalen Geschäftsgang zu spät an das OLG weitergereicht wurde.
Deshalb änderte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 31.12.2012 den § 64 FamFG dahingehend, dass auch Verfahrenskostenhilfe-Anträge für die zweite Instanz beim Amtsrichter einzureichen sind. Was nun zur Folge hatte, dass sie ab dem 01.01.2013 fristwahrend beim OLG nicht mehr eingereicht werden konnten. Der Anwalt, der sich mühselig darauf eingestellt hatte, für die Beschwerde einerseits und den Verfahrenskostenhilfe-Antrag andererseits zwei unterschiedliche Adressaten zu haben, ging nun wieder in die Falle. Und einen solchen Fall hatte der BGH (Beschluss vom 05.03.2014 - XII ZB 220/11) jetzt noch einmal zu entscheiden. Und er urteilte:

"Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist allerdings in der Regel nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen (BGH Beschluss vom 9. Juli 1993 - V ZB 20/93 - NJW 1993 Seite 2538, mwN). Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur (vor allem Fachzeitschriften und Kommentare) über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt (Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, Seite 100 Randnummer 19 mwN).
Demgegenüber kann ein Rechtsirrtum ausnahmsweise entschuldigt sein, wenn er auch unter Anwendung der genannten Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 - XII ZB 169/12 - FamRZ 2013, Seite 437 Rn. 19 und BGH Beschluss vom 25. Oktober 1978 - IV ZB 65/78 - VersR 1979, Seite 159 mwN).
Das hat der Senat für die hier vorliegende Fallgestaltung nach Erlass des angefochtenen Beschlusses bejaht. Er hat hierzu ausgeführt, dass die Frage, bei welchem Gericht Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde zu beantragen war, unter den Oberlandesgerichten umstritten war, sich eine eindeutig überwiegende Auffassung noch nicht gebildet hatte und sich zudem die zunächst veröffentlichte Rechtsprechung für eine Einreichung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beim Amtsgericht ausgesprochen hatte. Außerdem hat diese Meinung in der zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung ihren Niederschlag gefunden. Durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 3418) ist die Regelung mit Wirkung vom 1. Januar 2013 dahin geändert worden, dass nach § 64 Absatz 1 Satz 2 FamFG Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde bei dem Gericht "einzulegen" sind, dessen Beschluss angefochten werden soll (Senatsbeschluss vom 17. Juli 2013 - XII ZB 700/12 - FamRZ 2013,  Seite 1567 Randnummer 16).
Vor diesem Hintergrund war von einem Rechtsanwalt, der bei der bestehenden unklaren Rechtslage mangels vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im Schrifttum stark vertretenen Auffassung gefolgt ist, auch nicht zu verlangen, dass er das Verfahrenskostenhilfegesuch sowohl bei dem Amtsgericht als auch bei dem Oberlandesgericht einreichte, so dass ihm auch im Hinblick auf das Gebot der Wahl des sichersten Weges im Ergebnis kein Verschuldensvorwurf zu machen ist (Senatsbeschluss vom 17. Juli 2013 - XII ZB 700/12 - FamRZ 2013,  Seite 1567 Randnummer 17 mwN)."


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