Mittwoch, 17. August 2011

Mama hat den schwarzen Peter - Die Süddeutsche Zeitung heute zu § 1570 BGB

An sich sehr erfreulich: Die Süddeutsche Zeitung bricht heute auf S. 2 mit drei Beiträgen eine Lanze für die allein erziehenden Ehegatten. Die von den Redakteuren Kerscher, Janisch und Prantl herausgearbeiteten Standpunkte sind uneingeschränkt unterstützenswert. Speziell Heribert Prantl sind jedoch einige Ungenauigkeiten unterlaufen. Deren Korrektur führt allerdings nicht dazu, dass sein Standpunkt zu revidieren wäre. Das Ungleichgewicht der derzeitigen Situation wird nämlich bei Korrektur der Fehler noch deutlicher.


  • Prantl geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht aus Art. 6 Grundgesetz vor noch nicht allzu langer Zeit ein Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern hergeleitet habe; in diesem Licht sei auch § 1570 BGB zu interpretieren. Das ist leider so nicht korrekt. Wie ich bereits hier erläutert habe, hat das Verfassungsgericht erst in jüngerer Zeit eindeutig entschieden, dass es im Lichte des Art 6 GG nicht zu beanstanden ist, dem betreuenden Elternteil nach drei Jahren wieder mindestens eine Teilzeitarbeit zuzumuten.
  • Prantl geht ferner davon aus, dass entgegen den Annahmen des BGH auch nach dem neuen § 1570 BGB die Begrenzung des Anspruchs auf drei Jahre nicht die Regel sei; vielmehr laufe der Anspruch danach weiter, müsse aber detailliert begründet werden. Genau das gegenteilige, vom BGH praktizierte System der Darlegungs- und Beweislast ergibt sich aber aus der Systematik des Gesetzes. Denn nach § 1569 BGB muss jeder Ehegatte nach der Scheidung grundsätzlich auf eigenen Füßen stehen. Die Zahlung von Unterhalt an sich ist also die Ausnahme. Diese Ausnahmeregelung gewährt das Gesetz bei Kinderbetreuung nur für die ersten drei Jahre uneingeschränkt. Danach ist der anspruchstellende Ehegatte gehalten, zu beweisen, dass die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung weiter ganz oder eingeschränkt vorliegen.
  • Prantl bezeichnet die Darlegungslast der Mutter für den Fortbestand des Unterhaltstatbestandes richtig als " Knackpunkt". Zu Unrecht legt er den Gerichten aber nahe, auf der Basis des FamFG den entsprechenden Sachverhalt selbst aufzuklären, weil es doch im FamFG stehe, dass das Gericht von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen habe; es liege also bei den Gerichten, ihren " verfahrensrechtlichen Instrumentekasten" zu nutzen.
    Das tun die Gerichte schon, denn im Unterhaltsverfahren gibt es keinen Amtsermittlungsgrundsatz. Grundsätzlich fixiert § 26 FamFG diesen Grundsatz zwar. Diese Vorschrift ist jedoch in Familienstreitsachen nach § 112 FamFG nicht anzuwenden. Auch Unterhaltssachen nach § 231 I FamFG sind Familienstreitsachen und damit auch der Streit zwischen Ex-Eheleuten um den Betreuungsunterhalt. Nach § 113 FamFG sind im Familienstreitsachen unter anderem die §§ 2 bis 37 FamFG nicht anzuwenden, also auch § 26 FamFG nicht. Stattdessen gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung; für Unterhaltssachen bleibt es damit beim allgemeinen Beibringungsgrundsatz.

Wie gesagt: Das macht die Sache nicht besser:
  • Es gibt keine Möglichkeit, § 1570 BGB verfassungskonformer auszulegen, als der BGH das tut; 
  • die Fortzahlung des Unterhalts über das Kindesalter von drei Jahren hinaus ist leider die Ausnahme; 
  • der Amtsermittlungsgrundsatz gilt im Unterhaltsverfahren nicht. 
All das lässt dem Bundesgerichtshof nicht die Spielräume, die Prantl sieht. Will man diese Misere der betreuenden Ex-Ehegatten tatsächlich ändern, gibt es nur einen, der helfen kann, und das ist der Gesetzgeber.

Spielräume gibt es allerdings da, wo der BGH bewusst Türen schließt.
  • Das ist  z.B. mit seiner formelhaft in vielen Entscheidungen der letzten Zeit auftauchenden Floskel der Fall, der Gesetzgeber habe "den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben". Das findet sich so weder im Gesetz noch in der BT-Drucksache 16/1830, und das merkt Janisch in der SZ von heute zu Recht kritisch an.
  • Niepmann/Schwamb kritisieren ferner in der aktuellen NJW 2011,2404 ff., 2406 zu Recht, das der BGH seine Rechtsprechung zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts äußerst restriktiv ausgestaltet, wobei er sich inhaltlich mit entgegenstehenden Teilen der Gesetzesbegründung sowie Bedenken aus der Instanzrechtsprechung sowie aus Sozialwissenschaften und Psychologie nicht auseinandersetzt. Tatsächlich ließ der Gesetzgeber in seiner Begründung unter Ablehnung des Altersphasenmodells im Ganzen gleichwohl gewisse Pauschalierungen zu; auch der Bundesgerichtshof stand einer solchen Lösung in einer Frühphase seiner neuen Rechtsprechung offen gegenüber, machte dann aber eine radikale Kehrtwendung.
  • Ähnliche wie Niepmann-Schwamb kritisiert auch Born in seiner Kommentierung der Entscheidung des BGH vom 01.06.2011 = XII ZR 45/09 = NJW 2011, 2430 die radikale Hinwendung des BGH zur Einzelfall-Prüfung. Er führt aus, die reine Einzelfallbetrachtung sei nicht unproblematisch. Man könne sich fragen, weshalb beim Betreuungsunterhalt auf der Grundlage des Einzelfalls entschieden werden müsse, wenn in der BGH an anderer Stelle, konkret bei der Barunterhaltspflicht im Falle umfangreichen Aufenthalts des Kindes beim Schuldner sehr pauschal bleibe und in allen Konstellationen mit weniger als 50% Aufenthalt eine Berücksichtigung beim Zahlbetrag ablehne (BGH, NJW 2007,1882).
Wenn überhaupt, dann kann man dem BGH diese Rigidität ankreiden, mit der er auf einer Einzelfallprüfung besteht. Aber wie gesagt: Gerade diese Einzelfallprüfung lässt breiten Raum für die Kunst des Anwalts, und das ist an sich nichts Schlechtes.
Gleichwohl legt Prantl mit seinen Ausführungen den Finger in Wunden, die die Gesetzesänderung von 2008 geschlagen hat. Der Gesetzgeber darf sich durchaus aufgerufen fühlen, über Anpassungen nachzudenken.

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