Sonntag, 3. Juli 2011

Gedanken zum Wochenende - Gebührenrecht - "Wer klagt ist selber schuld"

 Wir Anwälte sind ja bekanntlich als streitsüchtig verschrieen. Und in der Vergangenheit hatte das auch etwas für sich. Denn wer sich nicht lange mit außergerichtlicher Korrespondenz aufhielt, sondern schnell klagte, verdiente auch schnell mehr Geld. Das allerdings gehört - vor allem aufgrund der aktuellen Rechtsprechung zum Gebührenrecht - nun der Vergangenheit an. Ab jetzt und für die Zukunft gilt immer stärker die Devise: Wer klagt, ist selber schuld:


Früher (und zwar auch noch nach der Einführung des RVG, das ja die Bereitschaft der Anwälte zur prozessfernen Streitbeilegung fördern sollte) war die rechnerische Gegenüberstellung ganz einfach:
Wer eine Sache ohne Prozess aus der Welt schafft, verdient 1,3 VV 2300 + 1,5 VV 1000 = 2,8.
Wer frühzeitig das Gericht belästigt, kommt auf 1,3 VV 2300 + (1,3 VV 3100 ./. 0,65 VV 2300 = ) 0,65 VV 3100 + 1,2 VV 3104 + 1,0 VV 1003 =  4,15. Das machte das Klagen natürlich attraktiv.

Inzwischen haben sich aber einige Dinge geändert. Zunächst hat der BGH bei VV 2300 die Kappungsgrenze kassiert (Näheres vergleiche hier), so dass der Anwalt unangreifbar - natürlich nur bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - die 1,5 Gebühr nach VV 2300 verlangen kann. Dies sollte einem den Kopf dafür öffnen, dass es sich bei VV 2300 um eine Rahmengebühr handelt, wobei die Obergrenze des Rahmens bei 2,5 liegt. Wer vorgerichtlich wirklich viel arbeiten muss (Beispiel: umfangreiche Gespräche mit der Mandantschaft über die Regelung des Sorgerechts führen muss) kann durchaus guten Gewissens auch eine 1,8 Gebühr berechnen und braucht nicht - wie früher fast automatisch - bei 1,3 kapitulieren.

Ferner hat der BGH - und das ist viel wichtiger! - entschieden, dass eine Terminsgebühr nach VV 3104 auch schon vor Klageerhebung anfallen kann (Näheres vergleiche hier), und das eröffnet für die außergerichtliche Erledigung doch sehr attraktive Dimensionen:

Wer sich zunächst eine außergerichtliche Vollmacht geben lässt, anschließend wie so häufig in Familiensachen umfangreich außergerichtlich tätig wird, sodann eine gerichtliche Vollmacht erteilt bekommt und anstatt einfach einen Schriftsatz bei Gericht einzureichen lieber den Gegner anruft und einen Vergleich zu Stande bringt, dem steht unter dem Aspekt, dass die Gebühr des VV 3100 im vollem Umfang schon für das "Betreiben" des Verfahrens (und dazu gehört mit Sicherheit das Telefonieren mit dem Gegner) anfällt, folgende - im Übrigen äußerst richterfreundliche - Möglichkeit der Abrechnung offen:

1,8 VV 2300 + (1,3 VV 3100 ./. 0,75 Abzugshöchstsatz VV 2300 =) 0,55 VV 3100 + 1,2 VV 3104 + 1,5 (!) VV 1000 = 5,05.

Daher: Wer klagt, ist selber schuld.

Schönen Sonntag noch.

Ihr
Gerhard Kaßing

(C) Foto: Ich