Sonntag, 24. Juli 2011

Ehegattenunterhalt - Nach der Drittelmethode ist vor der Drittelmethode?

Wir erinnern uns: das Bundesverfassungsgericht hat mit Entscheidung vom 11.2.2011 die "Drittelmethode" zur Berechnung von Ehegattenunterhalt gekippt. Nach dieser Methode verringerte sich der Anspruch des geschiedenen Ehegatten auf Ehegattenunterhalt automatisch, sobald der Unterhaltspflichtige wieder heiratete. Der Unterhalt für beide Gattinnen sollte laut BGH dann im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im Wesentlichen so ermittelt werden, dass das Einkommen aller drei Gatten addiert wurde und jeder Anspruch auf ein Drittel haben sollte.

Das kollidierte mit dem Gesetzeswortlaut des § 1578 BGB, nach dem sich das Maß des nachehelichen Ehegattenunterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmte, also nach den Lebensverhältnissen, die für die Geschiedenen zum Zeitpunkt der (Rechtshängigkeit der) Scheidung maßgeblich waren. Da in Deutschland die (gleichzeitige) Mehrfachverehelichung verboten ist, konnte zu diesem Zeitpunkt kein weiterer Ehegatte existieren, der das Maß des nachehelichen Ehegattenunterhalts durch seinen eigenen Anspruch bereits mit prägen konnte. Allenfalls war denkbar, dass der mit weiterer Fortpflanzung fleißige Unterhaltspflichtige im Zeitpunkt der Scheidung schon einer nichtehelichen Mutter zusätzlich unterhaltspflichtig war. Allerdings spielten auch diese Fälle zahlenmäßig keine Rolle.
Der BGH legte nun - bedingt durch die Gesetzesänderung vom 1.1.08, die die Zweitfamilie besser stellen sollte - § 1578 BGB dahingehend aus, dass es auf die ehelichen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung nicht mehr ankomme, sondern dass diese Lebensverhältnisse "wandelbar" seien, insbesondere sich durch Hinzukommen weiterer Unterhaltsberechtigter wandeln würden. Das Anknüpfen der ehelichen Lebensverhältnisse an einen bestimmten Zeitpunkt sei - obwohl der Gesetzgeber diesen in seinen Motiven ausdrücklich festgehalten hatte - obsolet und mit moderner Ausrichtung des Unterhaltsrechts nicht mehr vereinbar. Der Gesetzgeber jedenfalls habe die Weitergeltung des § 1578 BGB in dieser Form nicht beabsichtigt, weshalb dasjenige, was man als eine Art Redaktionsversehen ansehen könne, durch die Rechtsprechung nachgebessert werden dürfe.

Dem erteilte das Verfassungsgericht eine Absage. Die Unterhaltsreform vom 01.01.2008 habe nur drei vom Gesetzgeber definierte Ziele gehabt, nämlich:
  • Die minderjährigen Kinder unterhaltsrechtlich besser zu stellen, was mit der Rangänderung in § 1609 BGB erreicht worden sei, 
  • ferner die Zweitfamilie besser zu stellen, was mit der Rangänderung zugunsten der "neuen" jungen Mutter in § 1609 einerseits und andererseits dem der "alten" Mutter  durch die Änderung von § 1570 BGB auferlegten Zwang, frühzeitig für sich selbst zu sorgen, realisiert wurde 
  • und schließlich, die Eigenverantwortung der geschiedenen Ehepartrner zu stärken - dem wurde durch die Änderung des § 1569 BGB Rechnung getragen. 
Weitere Änderungen habe der Gesetzgeber nicht im Auge gehabt, insbesondere nicht, den Wortlaut oder den Gehalt des § 1578 BGB ändern wollen. Der § 1578 BGB und damit der Zuschnitt des nachehelichen Ehegattenunterhalts auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung existiere nach wie vor. Dies zu ändern, sei dem Gesetzgeber vorbehalten und nicht etwa der Rechtsprechung, die damit ihre Kompetenzen überschreite.
Selten wurde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts so emotional aufgenommen wie diese. Man warf dem Gericht vor, den Gesetzgeber missverstanden zu haben, die Uhr ins letzte Jahrhundert (oder sogar ins vorletzte, je nach Ansicht des jeweiligen Kommentators) zurückgedreht zu haben. Die Drittelmethode hätten zwar weite Teile der Praxis am Anfang nicht verstanden, jetzt jedoch sei sie angenommen worden, und nun werde die Sache wieder verkompliziert. Das Ganze gipfelte darin, dass man dem Verfassungsgericht vorwarf, es habe für die Entscheidung ja nur 3 Monate gebraucht. In solch kurzer Frist könne ja nichts Vernünftiges herauskommen (Was wäre eigentlich, wenn wir, die Anwälte, unseren Richtern sagen würden, dass sie
sich nicht wundern müssen, wenn unsere Schriftsätze Lücken aufweisen, weil wir nur Schriftsatzfristen von 14 Tagen eingeräumt bekommen??)
Die heftige Reaktion war nicht ganz verständlich, vor allem deshalb nicht, weil die vom BGH gewählte Drittellösung von Anfang an nicht ohne Kritik geblieben war, angefangen im XII. Senat selbst ( vgl. die Kommentierung von Weber-Monecke zur Bemessung des nachehelichen Unterhalts im Münchener Kommentar) über die kritischen Anmerkungen von Brudermüller/Götz bis hin zu FamRZ-Herausgeber Prof. Dr. Dieter Schwab, der sich nicht enthalten konnte, schon im Vorwort der 17.Auflage seines Familienrechts-Kurzlehrbuchs (Beck - Grundrisse des Rechts) die BGH-Rechtsprechung als "wundersam" zu bezeichnen.

Trotzdem wurde auch nach dem verfassungsgerichtlichen Urteil jeder, der es wagte, nun seine frühere fundierte Kritik unter Bezugnahme auf das Urteil in die neuerlichen aufflammende Diskussion wieder einzubringen, unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Eloquenz in die Ecke der "Altvorderen" gedrängt - unzeitgemäß, unmodern, unverständlich! Kein Wunder, dass Isabel Götz in der FamRZ irgendwann bissig das Recht einforderte, eine eigene Meinung äußern zu dürfen, ohne anschließend sogleich abqualifiziert zu werden.

Nun herrscht Stille im Moment, und alle starren gebannt nach Karlsruhe: Wie wird der BGH es in der Zukunft machen? Wann wird das erste Urteil kommen? Ist etwa nach der Drittelmethode vor der Drittelmethode? So wie Gerhardt/Gutdeutsch sich das vorstellen?  Das ließe sich ja durchaus realisieren, wenn man unter Außerachtlassung des Grundgedankens des BVerfG-Urteils mit der Dreiteilung einfach von der Ebene des Bedarfs auf die Ebene der Leistungsfähigkeit "umzieht", also nun nicht mehr im Rahmen des § 1578 BGB sondern einfach im Rahmen des § 1581 BGB munter weiter drittelt.

Man wird sehen: Aber bis man sieht, möchte ich an dieser Stelle noch einmal mit einem gewissen Starrsinn drei - vielleicht nicht ganz neue - Gedanken zum Ganzen festhalten:
  • Wenn ich mir einen BMW lease und muss dafür 800 € mtl. zahlen, und dann gefällt mir der BMW nicht mehr, und obwohl der Leasing-Vertrag noch nicht ausgelaufen ist, lease ich nun zusätzlich einen Mercedes, der mich nochmal 800 € kostet; kann ich jetzt zu BMW-Leasing hingehen und sagen, tut mir leid, aber zweimal 800 kann ich mir nicht leisten; ihr müsste euch mit kleineren Raten zufrieden geben? Wenn nicht, warum läuft das im Unterhaltsrecht anders?
  • In den guten alten Zeiten gab es ein Prinzip, nach dem jeder wissen musste, auf was er sich einlässt, auch eine Frau, die einen unterhalts-kontaminierten Mann heiratet und sich von ihm schwängern lässt bzw. ein Mann, der seinem Fortpflanzungsdrang eher nachkommt, als er es sich leisten kann.
  • Unterstellt, dem Gesetzgeber wäre tatsächlich ein redaktionelles Versehen unterlaufen, und er hätte übersehen, den § 1578 BGB zu ändern, hätte man dann nicht erwarten können, dass seit Mitte Februar dazu aus Berlin irgendein Kommentar kommt? Immerhin war die heutige Justizministerin damals als Ausschussvorsitzende maßgeblich am Entwurf des Unterhaltsänderungsgesetzes beteiligt. Sie könnte am ehesten etwas dazu sagen, was man damals eigentlich beabsichtigte. Aber sie sagt nichts, sieht offenbar keinen Anlass für Nachbesserungen und lässt die Entscheidung des BVerfG im Raum stehen.
Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind meinem Gefühl nach weder ungerecht noch besonders unmodern, mit Verlaub gesagt. Den Äußerungen von Götz im Spiegel Nr. 7 /2011 ("Über das Ziel hinausgeschossen") ist m.E. nichts hinzuzufügen.

(C) Foto: Klaus Mackenbach auf www.pixelio.de

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